Von Rechtsanwalt Oliver Hattig
Bei der E-Vergabe können sich Bieter nur dann auf technische Probleme bei der Angebotsabgabe berufen, wenn diese nachweislich nicht aus ihrem Verantwortungsbereich ("Sphäre") stammen. Vom Bieter selbst zu verantwortende Schwierigkeiten gehen zu seinen Lasten. Den Auftraggeber trifft auch keine Pflicht, vor Ausschluss eines eindeutig unvollständigen Angebotes die Ursachen für einen missglückten Datei-Upload aufzuklären. Umgekehrt ist es Sache des Bieters, den Auftraggeber rechtzeitig vor Ablauf der Angebotsfrist über etwaige technische Schwierigkeiten zu informieren, damit dieser die Möglichkeit hat, hierauf gegebenenfalls durch Verlängerung der Angebotsfrist zu reagieren. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf im Beschluss vom 12.6.2019 (Verg 8/19) klargestellt.
In dem konkreten Fall schrieb ein Sektorenauftraggeber die Lieferung von fünf Schachtwinden für die Schachtverfüllung im Bergbau im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb europaweit aus. Die Bieter mussten ihre Angebote nebst Anlagen in elektronischer Form bis zum Ablauf der Angebotsfrist über das E-Vergabeportal des Auftraggebers einreichen. Die Angebotsfrist lief am 16.10.2018 um 16 Uhr ab. Die spätere Beigeladene lud ihr Angebot - inklusive aller geforderten Unterlagen - am 16.10.2018 um 14.45 Uhr auf der Vergabeplattform hoch. Am selben Tag versuchte die spätere Antragstellerin, beginnend ab ca. 15.30 Uhr, ihr Angebot hochzuladen. Bis zum Ablauf der Angebotsfrist gelang es ihr jedoch lediglich, Eintragungen in der Rubrik "Gebotdetails" vorzunehmen; Dateianlagen waren nicht vorhanden. Am Folgetag und damit nach Ablauf der Angebotsfrist teilte die Antragstellerin dem Auftraggeber via E-Mail mit, dass er am Tag zuvor versucht habe, zu ihrem Gebot zwei Dateien hochzuladen, sie aber nicht sicher sei, ob das funktioniert habe. Sie fragte daher an, ob sie die fehlenden Dateien, u. a. auch das Preisblatt, nachsenden könne. Diese Anfrage beantwortete der Auftraggeber nicht, teilt der Antragstellerin jedoch dann mit, dass ihr Angebot wegen fehlender Angebotsunterlagen - u.a. das ausgefüllte Preisblatt - von der Wertung ausgeschlossen sei. Der Rüge der Antragstellerin half der Auftraggeber nicht ab. Ohne vorab über die beabsichtigte Zuschlagserteilung gem. § 134 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) zu informieren, erteilte er den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen. Die Antragstellerin strengte ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer an. Diese erklärt den geschlossenen Vertrag wegen Verstoßes gegen die Informationspflicht gemäß § 135 Abs. 2 GWB für unwirksam. Gegen den Beschluss der Vergabekammer legten der Auftraggeber und die Beigeladene sofortige Beschwerde beim OLG ein.
"Fehlendes Preisblatt kann nicht nachgefordert werden"
Mit Erfolg. Das OLG Düsseldorf hob den Beschluss der Vergabekammer auf und wies den Nachprüfungsantrag der Antrgstellerin zurück.
Zwar sei die Auftraggeberin verpflichtet gewesen, die Antragstellerin gemäß § 134 Abs. 1 GWB, § 56 SektVO zu informieren; die Zuschlagschancen der Antragstellerin seien durch die rechtswidrig unterbliebene Bieterinformation jedoch nicht feststellbar geschmälert worden. Denn auch bei einer ordnungsgemäß erteilten Vorabinformation hätte das Angebot der Antragstellerin keine Chance auf den Zuschlag gehabt. Es musste zwingend von der Wertung ausgeschlossen werden, weil es nicht die geforderten Unterlagen enthielt. Dem Angebot sei insbesondere nicht das ausgefüllte Preisblatt beigefügt gewesen. Dies sei von der Auftraggeberin wirksam gefordert worden; zu einer Nachforderung des fehlenden Preisblatts sei die Auftraggeberin nicht gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 VgV, § 51 SektVO verpflichtet gewesen, so das OLG. Denn bei dem Preisblatt handelt es sich um eine leistungsbezogene Unterlage, welche die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betrifft: derartige Unterlagen dürfen gemäß § 56 Abs. 3 S. 1 VgV nicht nachgefordert werden.
"Aus welchem Grund Unterlagen fehlen, ist ohne Belang - das gilt für Angebote in Papierform ebenso wie für elektronische Angebote!"
Schließlich war die Auftraggeberin nicht verpflichtet aufzuklären, warum der Antragstellerin bei Abgabe ihres Angebotes ein Hochladen der geforderten Unterlage nicht geglückt sei. Eine Aufklärungspflicht bei unvollständigen Angeboten bestehe jedenfalls in klaren Fällen - wie hier - nicht. Denn die Angebotsaufklärung setze - anders als das Nachfordern von fehlenden Unterlagen - ein vollständiges Angebot voraus und beginne erst dann, wenn Restzweifel am Inhalt des Angebotes bestünden. Eine Aufklärungspflicht könne schließlich nicht aus dem durch die Ausschreibung begründeten "vorvertraglichen Vertrauensverhältnis" gemäß § 311 Abs. 2 Nr.1, § 241 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) hergeleitet werden. Es sei grundsätzlich Sache des Bieters dafür zu sorgen, dass sein Angebot vollständig innerhalb der Angebotsfrist eingehe. Aus welchem Grund Unterlagen fehlten, sei ohne Belang. Das gelte für Angebote in Papierform ebenso wie für elektronische Angebote. Es sei umgekehrt Sache des Bieters, den Auftraggeber rechtzeitig vor Ablauf der Angebotsfrist über technische Schwierigkeiten zu informieren. Das OLG stellte im Übrigen tatsächliche Umstände fest, die dafür sprachen, dass die Ursache für das misslungene Hochladen der Dateianlagen nicht in der Sphäre der Auftraggeberin lag: so hatte etwa eine Überprüfung der Logdatei keine grundsätzliche Fehlfunktion ergeben.