VK Bund: Falsches Zertifikat „fehlt“ nicht – keine Nachforderung möglich!

Von: Rechtsanwalt Oliver Hattig

 

Eine Unterlage fehlt nicht und darf daher auch nicht nachgefordert werden, wenn sie zwar körperlich vorhanden und auch vollständig ist, jedoch nicht den vom Auftraggeber geforderten Erklärungs- und Beweiswert hat. Legt ein Bieter ein Zertifikat vor, das nicht auf der vom Auftraggeber geforderten Grundlage ausgestellt worden ist, kommt eine Nachforderung des „richtigen“ Zertifikats daher nicht in Betracht. Gibt der Auftraggeber vor, dass bei Angebotsabgabe diejenigen Leistungen anzugeben sind, bei denen ein Nachunternehmer eingesetzt werden soll, weicht ein Angebot mit der Angabe "gegebenenfalls Untervergabe" von den Vergabeunterlagen ab und muss ausgeschlossen werden. Das hat die Vergabekammer des Bundes (VK Bund) im Beschluss v. 28.3.2024 (VK 2-25/24) entschieden.

 

Streitfall: Nachunternehmereinsatz und Nachforderung fehlender Unterlagen

 

Im konkreten Fall ging es um ein europaweites Vergabeverfahren für Arbeiten an Straßen und Autobahnen. Zum Nachweis ihrer technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit mussten die Bieter u.a. einen "Nachweis der Qualifikation gemäß MVAS 99 auf der Grundlage der RSA 21 zu Arbeitsstellen von kürzerer und längerer Dauer an allen Straßen inklusive Autobahn" vorlegen. MVAS steht für das "Merkblatt über Rahmenbedingungen für erforderliche Fachkenntnisse zur Verkehrssicherung von Arbeitsstellen an Straßen". Die Richtlinien zur verkehrsrechtlichen Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA) sind ein technisches Regelwerk. Außerdem mussten die Bieter angeben, welche Teile des Auftrags sie als Unteraufträge zu vergeben beabsichtigten. Auf Verlangen des Auftraggebers waren Formblätter zur Preisermittlung sowie die Urkalkulation, welche die Aufgliederung der Einheitspreise nach bestimmten Vorgaben auch bezogen auf die Subunternehmer enthalten musste, vorzulegen. Das Angebot der späteren Beigeladenen war das preisgünstigste. Im Rahmen der Angebotsaufklärung forderte der Auftraggeber die Beigeladene auf, diverse Unterlagen vorzulegen. Dem kam die Beigeladene nur teilweise nach. Der von ihr vorgelegte Nachweis der Qualifikation gemäß MVAS 99 war nicht auf der Grundlage der RSA 21 ausgestellt, sondern auf der Grundlage der RSA 95. Im "Verzeichnis der Unterauftrag-/Nachunternehmen" beschränkte sie sich bei einer Vielzahl von Ordnungsziffern (OZ) des Leistungsverzeichnisses auf die Angabe “(...), ggf. Untervergabe an...". Eine Urkalkulation legte die Beigeladene nur hinsichtlich eines der insgesamt drei von ihr ausdrücklich benannten Nachunternehmen vor. Der Auftraggeber beabsichtigte dennoch, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen. Die Antragstellerin rügte die beabsichtigte Zuschlagserteilung. Der Auftraggeber führte daraufhin erneut eine Aufklärung des Angebotes der Beigeladenen durch und versandte danach nochmals eine Bieterinformation, die inhaltlich deckungsgleich mit der ersten Information war. Die Antragstellerin rügte diese erneut und strengte schließlich ein Nachprüfungsverfahren an.

 

„Die Aufklärung darf einem Bieter nicht die Änderung oder Ergänzung fehlender, zwingender Angebotsbestandteile ermöglichen!“

 

Mit Erfolg. Der Nachprüfungsantrag sei im Ergebnis begründet, so die Vergabekammer. Das Angebot der Beigeladenen komme für eine Zuschlagserteilung nicht in Betracht, weil es zwingend aus der Wertung zu nehmen sei. Auf das Aufklärungsersuchen des Auftraggebers hin habe die Beigeladene zu einer Vielzahl von Positionen die Angabe; "[...], ggf. Untervergabe an..." gemacht, wobei sie teilweise die ihr zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten Nachunternehmen (insgesamt drei) namentlich benannt habe, teilweise die Angabe "NN*" gemacht habe, für Nachunternehmen, die nach Vergabe kurzfristig benannt werden sollten. Der Vorbehalt "gegebenenfalls" habe lediglich bei vier OZ gefehlt. Unter welchen Voraussetzungen die Beigeladene "gegebenenfalls" von der Möglichkeit des Nachunternehmereinsatzes Gebrauch machen würde, sei letztlich offen geblieben. Damit habe die Beigeladenen nicht der Vorgabe genügt, bei Angebotsabgabe diejenigen Leistungen offenzulegen, bei denen ein Nachunternehmen eingesetzt werden soll. Zudem habe sie eine Angebotsänderung vorgenommen, denn das Angebot habe gerade keinen Nachunternehmereinsatz ausgewiesen. Vor allem aber habe die Beigeladene den geforderten Nachweis gemäß MVAS 99 auf der geforderten Grundlage der RSA 21 nicht erbracht. Der Auftraggeber habe der Beigeladenen insoweit vorgeschlagen, seine Mitarbeiter noch nachschulen zu lassen. Dazu sei der Auftraggeber nicht berechtigt gewesen, betont die Kammer. Denn das Zertifikat habe im Angebot der Beigeladenen nicht „gefehlt“, da es körperlich vorhanden und auch vollständig gewesen sei; sein Inhalt habe aber nicht den Erklärungs- oder Beweiswert gehabt, den es nach den Vorgaben des Auftraggebers haben sollte. Unter diesen Umständen komme eine Nachforderung nicht in Betracht. Gleiches gelte für die Aufklärung, die einem Bieter gerade nicht die Änderung oder Ergänzung fehlender, zwingender Angebotsbestandteile ermöglichen dürfe. Erst recht nicht dürfe ein Auftraggeber, wie hier geschehen, einem Bieter die Möglichkeit einräumen, nach Angebotsabgabe überhaupt erst die Voraussetzungen zu schaffen, um einen Nachweis zu erlangen. Hinzu komme schließlich, dass die Beigeladene Unterlagen, deren Vorlage der Auftraggeber sich vorbehalten habe, nicht innerhalb der ihr gesetzten Frist vorgelegt habe.