Von: Rechtsanwalt Oliver Hattig
Der Ausschluss eines Bewerbers oder Bieters wegen einer Nichteinhaltung von besonderen Vertragsbedingungen ist auch bereits im Teilnahmewettbewerb
möglich. Er ist jedoch nur dann statthaft, wenn der Auftraggeber konkrete Tatsachen festgestellt hat oder feststellen kann, die den Rückschluss auf die beabsichtigte zukünftige
Nichteinhaltung mit der Angebotsabgabe eingegangener Verpflichtungen zulassen. Auf bloße und ins Blaue hinein aufgestellte Behauptungen oder Verdachtsumstände muss und darf der
öffentliche Auftraggeber seine Entscheidung nicht stützen. Das hat die Vergabekammer des Bundes (VK Bund) im Beschluss vom 12.4.2024 (VK 1-89/23) entschieden.
Streitfall: Abweichung von den Vertragsbedingungen
In dem konkreten Fall schrieb der Auftraggeber europaweit einen wettbewerblichen Dialog zu Vergabe von Leistungen zur Entwicklung und Nutzung von Quantencomputern aus. Die
Auftragsbekanntmachung und die Vertragsbedingungen enthielten folgende Regelung: “Im gesamten Projekt und bereits während des laufenden Vergabeverfahrens
müssen insbesondere auch die gesetzlichen Anforderungen des Exportkontrollrechts eingehalten werden. Insofern sind auch die im Exportkontrollrecht geltenden Vorschriften hinsichtlich
"Dual-Use" zu berücksichtigen und einzuhalten, unabhängig davon, ob die Vorschriften zum "Dual-Use" bereits auf das Quantencomputing anwendbar sind. Dies gilt sowohl für alle am Auftrag
beteiligten Unternehmen als solche als auch für die vorgesehenen Projektmitarbeitenden. Es wird darauf hingewiesen, dass die Vergabestelle bereits im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs
prüfen kann, ob die geltenden Vorgaben des Exportkontrollrechts eingehalten werden. Teilnahmeanträge, bei denen dies im Hinblick auf beteiligte Unternehmen/Mitarbeitende nicht
gewährleistet ist, können dann vom weiteren Verfahren ausgeschlossen werden." Die spätere Antragstellerin, ein Tochterunternehmen eines russischen Konzerns, beteiligte sich an dem
Vergabeverfahren. Eine Internetrecherche des Auftraggebers ergab, dass die Antragstellerin in der Vergangenheit mit russischen Institutionen zusammengearbeitet hatte. Der Auftraggeber
wies die Antragstellerin auf entsprechende „exportkontrollrechtliche Bedenken“ hin und schloss ihren Teilnahmeantrag schließlich wegen Änderung der Vergabeunterlagen aus. Die
Antragstellerin bzw. deren Konzernmutter arbeite eng mit russischen Einrichtungen zusammen und beschäftige zahlreiche russische Staatsbürger. Man sei zum Ergebnis gekommen, dass die
Dual-Use-Vorgaben von der Antragstellerin nicht eingehalten werden könnten. Die Antragstellerin rügte ihren Ausschluss und strengte ein Nachprüfungsverfahren an. Der Ausschluss könne
nicht lediglich auf Vermutungen gestützt werden. Aktuell gebe es keinerlei Beziehungen zu Russland mehr; mit sämtlichen Beschäftigten sei eine Vertraulichkeitsklausel vereinbart worden,
die der Weitergabe von Informationen entgegenstehe.
„Ein Ausschluss kommt nur bei Vorliegen gesicherter Nachweise im Hinblick auf die Abweichung von den Vertragsbedingungen in
Betracht!“
Der Nachprüfungsantrag hatte Erfolg. Der Ausschluss halte einer vergaberechtlichen Nachprüfung nicht stand, entschied die VK Bund. Grundsätzlich sei der Ausschluss wegen der
Nichteinhaltung von besonderen Vertragsbedingungen nur dann statthaft, wenn konkrete Tatsachen festgestellt worden seien, die den Rückschluss auf die beabsichtigte zukünftige
Nichteinhaltung mit der Angebotsabgabe eingegangener Verpflichtungen zulassen. Die Anforderungen für den Nachweis des Ausschlussgrunds seien vergleichbar mit den allgemeinen Anforderungen
an den Nachweis von Ausschlussgründen nach § 124 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Ein Ausschluss komme deshalb nur bei Vorliegen gesicherter Nachweise im Hinblick auf
die Abweichung in Betracht. Im konkreten Fall bedürfe es des Nachweises, dass die Antragstellerin bei der Auftragsausführung oder bereits im Verlauf des Vergabeverfahrens gewonnenes
Wissen an russische Einrichtungen ausführen werde. Ein solcher Nachweis liege hier nicht vor. Die Internetrecherchen des Auftraggebers seien nicht dazu geeignet, den Vortrag der
Antragstellerin zu den in ihrem Unternehmen ergriffenen Compliance-Maßnahmen zur Einhaltung der Ausführungsbedingungen stichhaltig zu widerlegen. Es könne somit nicht sicher
prognostiziert werden, dass die Antragstellerin gegen das Exportkontrollrecht verstoßen werde. Soweit der Auftraggeber geltend gemacht habe, dass es weitere Erkenntnisse gebe, die er
aufgrund deren strikten Geheimhaltung nicht öffentlich machen könne und die letztlich der Vergabekammer nicht vorgelegt worden seien, so habe die Vergabekammer diese als vertraulich oder
geheim eingestufte Erkenntnisse nicht berücksichtigt. Das sei schlicht schon deswegen nicht möglich, weil ein nicht vorliegender Sachverhalt nicht geprüft werden könne.